20.09.2011
Neutrinorätsel: Teilchen gleich Anti-Teilchen?
EXO-Experiment untersucht Zerfälle im Edelgas Xenon
Neutrinos sind schwer fassbare Teilchen: Allein bis zu ihrer Entdeckung vergingen viele Jahre; weitere Jahrzehnte gingen ins Land, bis Wissenschaftler schließlich sicher sein konnten, dass Neutrinos Masse besitzen. Damit ist der Rätsel der Neutrinos aber noch nicht gelöst: Bisher ist ungeklärt, warum und wie Neutrinos ihre Familienzugehörigkeit verändern (s. Pressemitteilung vom 6.9.2011). Auch die Beziehung zwischen dem Neutrino und seinem Anti-Teilchen, dem Anti-Neutrino, stellt die Wissenschaftler vor Fragen: Es gibt Hinweise, dass das Neutrino und sein Gegenpart – anders als bei allen anderen Elementarteilchen – möglicherweise identisch sind. Vor kurzem gelang es nun einem internationalen Forscherteam mit dem sogenannten EXO-Experiment (Enriched Xenon Observatory), dem auch Professor Peter Fierlinger und Dr. Mike Marino vom Exzellenzcluster Universe der TU München angehören, tiefere Einblicke in die Natur der Neutrinos zu gewinnen. Die Forschungsarbeit wurde unter http://arxiv.org/abs/1108.4193 vorgestellt und bei Physical Review Letters zur Veröffentlichung eingereicht.
Ein Schlüssel zum Anti-Neutrino-Rätsel ist der radioaktive Beta-Zerfall: Zerfällt ein Neutron, verwandelt es sich in ein Proton, ein Elektron und ein Anti-Neutrino. Mit ihren Experimenten suchen Wissenschaftler allerdings nach einem ähnlichen Zerfallsschema, dem Neutrino-losen Doppel-Betazerfall. Sollten Forscher auf dieses Zerfallsschema stoßen, gilt dies als Beweis, dass es sich bei Neutrinos und Anti-Neutrinos um identische Teilchen handelt. Durchgeführt werden die EXO-Experimente mit einem Untergrunddetektor in New Mexico, USA.
Aktuell werden Daten des Zerfallsprozesses im Edelgas Xenon ausgewertet, genauer gesagt im Isotop Xenon-136. Kürzlich konnte das EXO-Projekt dabei einen großen Erfolg vermelden: Erstmals wurde der Zwei-Neutrino Doppel-Betazerfall von Xenon-136 beobachtet. Dabei handelt es sich um einen Vorgang, bei dem Xenon-136 in Barium-136 umgewandelt wird und zwei Elektronen und zwei Anti-Neutrinos freigesetzt werden. Dieser spezielle Prozess ist eng verwandt mit dem Neutrino-losen Zerfall. Die Beobachtung belegt zum einen die Funktionsfähigkeit des Untergrunddetektors, zum anderen liefert sie einen wichtigen Hinweis, dass die theoretischen Modelle, die dem Verständnis des Xenon-136-Kerns dienen sollen, korrekt sind. Die Genauigkeit dieser Modelle ist von großer Bedeutung, wenn es um das Verständnis möglicher Beobachtungen des Neutrino-losen Zerfalls geht.
Die Halbwertzeit des Zwei-Neutrino Doppel-Betazerfalls wurde vom EXO-Team auf 2,11 x 1021 Jahre festgelegt. Dieser Zerfall ist damit der langsamste, der jemals direkt in einem Detektor gemessen wurde. Das bedeutet, dass in einem mit flüssigem Xenon-136 gefüllten Wasserglas nur wenige Atome pro Tag nach diesem Muster zerfallen würden. Der Neutrino-lose Doppel-Betazerfall wird die EXO-Kollaboration noch eine ganze Weile beschäftigen: Denn aktuelle Experimente weisen darauf hin, dass Neutrino-lose Zerfall noch seltener vorkommt, d. h. mindestens 1.000 Mal langsamer ist als sein Zwei-Neutrino Verwandter.