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21.06.2012

Erstmals instabiles Zinn-100 genau untersucht

Die chemischen Elemente waren nicht unmittelbar nach dem Urknall schon vorhanden, sondern entstanden im Kosmos erst nach und nach. Wenige Minuten nach dem Urknall vor rund 13,7 Milliarden Jahren gab es bereits Wasserstoff und Helium. Danach dauerte es noch einige hundert Millionen Jahre, bis noch schwerere Elemente die kosmische Bühne betraten. Erst mussten aus dem verteilten Material über die Gravitation Sterne entstehen, die in ihrem heißen Inneren Elemente bis hin zu Eisen in der Kernfusion herstellen konnten. Alles was schwerer ist, z.B. Platin, Gold oder Blei, entsteht vor allem in Sternexplosionen. Der kosmische Elementemix fand schließlich vor 4,5 Milliarden Jahren den Weg in das Sonnensystem. Daher atmen wir heute Sauerstoff ein und Kohlenstoff aus und Eisen fließt in unseren Adern.

Um zu verstehen, wie die Elemente in das Universum gelangten und die Vielzahl ihrer Details zu verstehen, arbeiten Kernphysiker und Astronomen des Exzellenzclusters Universe Hand in Hand. Dabei betrachten sie auch Isotope, die schon nach kurzer Zeit zerfallen. Als Isotop bezeichnen Kernphysiker Atomkerne des gleichen chemischen Elements, die sich nur durch ihr Atomgewicht unterscheiden.Dazu gehört das schwer zu synthetisierende Isotop Zinn-100. Diesen speziellen Atomkern künstlich herzustellen und seine Eigenschaften zu bestimmen, galt als der "Heilige Gral der Kernphysik". Genau das gelang nun Kernphysikern des Exzellenzclusters Universe in Zusammenarbeit mit dem Helmholtz-Institut für Schwerionenforschung (GSI) bei Darmstadt. In dem renommierten Fachjournal „Nature“ stellen die Wissenschaftler nun diese Errungenschaft vor ("Superallowed Gamow-Teller Decay of the Doubly Magic Nucleus Sn-100" von Hinke et al., Nature 486, 2012).

Das besondere an Zinn-100 ist die geringe Zahl an Neutronen. So heißen elektrisch neutral geladene Teilchen im Atomkern. Normales Zinn hat mindestens 112 Teilchen im Atomkern, davon sind 50 Protonen, d.h. elektrisch positiv geladene Teilchen, und 62 Neutronen. Die Neutronen wirken gewissermaßen wie ein Puffer zwischen den sich elektrisch abstoßenden Protonen und verhindern, dass normales Zinn zerfällt. Zinn-100 hat weniger Neutronen, genau gesagt nur 50. Daher fällt der Puffer geringer aus und Zinn-100 zerfällt schnell. Das Besondere am Zinn-100 ist, dass es exakt gleich viele Protonen wie Neutronen enthält, also 50:50. Und 50 ist bei Atomkernen eine magische Zahl. Ein zusätzliches Neutron ist vergleichsweise schwach, ein zusätzliches Proton gar nicht mehr gebunden. Kernphysiker nennen diese Eigenschaft "doppelt magisch".

Da der Atomkern so weit von den stabilen Kernen entfernt ist, besteht die Schwierigkeit darin, ihn überhaupt herzustellen und nachzuweisen. Im Experiment wurden Xenon-124 Ionen mit beinahe Lichtgeschwindigkeit auf ein Beryllium-Blech geschossen und dabei in die verschiedensten Fragmente zerlegt, die weiterfliegen und so identifiziert werden können. Neben der vorhandenen Standardtechnik am GSI entwickelten Wissenschaftler der TU München auch neue Teilchendetektoren für dieses Experiment. Obwohl schon Mitte der 1990er Jahre an der GSI und an einer Anlage in Frankreich die ersten Zinn-100 Kerne erzeugt und nachgewiesen werden konnten, gelang erst jetzt der Durchbruch.

Die Kernphysiker stellten in dem dreiwöchigen Experiment an der GSI 259 Zinn-100-Kerne her und untersuchten ihre Zerfälle. Die Protonen im Zinn-100 neigen zum Betazerfall, d.h. sie zerfallen in ein Neutron, ein Positron und ein Neutrino. Dabei ändert sich die Zahl der Protonen im Kern (Kernladungszahl), so dass ein Isotop des Elements Indium entsteht, das im Periodensystem links von Zinn steht. Es gelang ihnen, die Halbwertszeit und die Zerfallsenergie genau zu messen. Damit wurde bestätigt, was schon lange postuliert worden war: Zinn-100 hat von allen Atomkernen den „schnellsten“ Beta-Zerfall. Die Wissenschaftler bestimmten auch die Energien der Gammastrahlen, die frei werden, wenn die angeregten Tochterkerne sich abregen. Die Publikation in „Nature“ am 21. Juni 2012 stellte diese Pionierleistung erstmals vor. Der Erstautor des Artikels, Dr. Christoph Hinke, erhielt für seine Leistung den PhD Award 2011 des Exzellenzclusters Universe.

Die Eigenschaften von Zinn-100 zu kennen, ist für Teilchen- und Astrophysiker von großem Interesse. In Explosionen an der Oberfläche von kompakten Sternen werden u.a. durch den sukzessiven Einfang von Protonen (sog. rp-Prozesse) immer schwerere Elemente hergestellt. Auf diesem Weg gelangt die Natur auch zum Element Zinn-100. Eine Kenntnis der Eigenschaften von Zinn-100 hilft deshalb zu verstehen, was genau im Kosmos geschieht, wenn sich auf diese Art schwere Kerne bilden. Aus dem Verständnis seines Zerfalls können von den Kernphysikern sogar Rückschlüsse auf die Neutrinomassen abgeleitet werden.

Das Experiment soll demnächst am Forschungszentrum RIKEN in Japan wiederholt werden. Dort gibt es inzwischen eine höhere Strahlintensität, die noch präzisere Messungen ermöglicht.  

 

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